Angelika Nollert
Grenzüberschreitungen
Eine schwarz gekleidete junge Frau kommt von links in die weiße Bildfläche hinein. Sie greift nach oben und zieht eine Schaukel zu sich herunter. Sie geht um die Schaukel herum, setzt sich und fällt dabei mit der Schaukel nach unten aus dem Bild heraus.
So wenig dieses im Videofilm gezeigte Geschehen eine Aussage über die lediglich von hinten sichtbare Frau zulässt, so wenig erfolgt auch eine Angabe über die Örtlichkeit. Irritierend ist die unerwartete Bewegung der Schaukel, die einzig von oben nach unten verläuft. Jedoch scheint ein übliches schwingendes Schaukeln auch gar nicht möglich zu sein, da die Schaukel sich zu nah vor der Wand befindet. So wird der originäre Zweck dieses Turngerätes nicht nur außer Kraft gesetzt, sondern erhält durch seine Verkehrung auch ein Moment der Zerstörung.
Das Schaukelvideo (2002) ist eine charakteristische Arbeit von Ulrike Möschel, die sich in ihren Installationen, Videos, Zeichnungen und Textarbeiten mit Fragen von Raum und Bewegung, von Abgeschlossenheit und Transformation, von Gefahr und Zerbrechlichkeit beschäftigt. Sie entwickelt Situationen, in denen Gegenstände aus dem Alltag durch Veränderungen ihres Zustandes eine neue Bedeutung erhalten.
Ein stets wiederkehrendes Motiv bei Ulrike Möschel ist das Licht und dessen räumliche Präsenz. Eine ihrer frühesten Arbeiten war die knapp über dem Boden pendelnde Tanzende Glühlampe (1999), die sich mittels eines Motors bewegte. Das scheinbare Risiko des Zerschellens für die Lampe wurde zu einer Empfindung von Bedrohung auch für die Betrachter. In einer Videoarbeit aus dem gleichen Jahr werden dann auch tatsächlich brennende Glühbirnen nacheinander auf den Boden geworfen und mit dem Fuß zertreten. Die Berührung mit einem offenen Stromkreis stellt hier ebenso eine Gefahr dar wie die zunehmende Menge der Glassplitter. Glühlampenzertreten ist der Titel der Arbeit, der wie so häufig als kurze Inhaltsangabe dient.
In weiteren Arbeiten wie Loreley (2003) oder Ausgefallene Lampe (2002) werden Neonröhren statt an der Decke auf dem Fußboden platziert und erhalten ihren Strom über lange Kabel bzw. Drähte. So enthält das sichtbare Objekt das unsichtbare Ereignis eines Stromkreislaufes. Erneut wird die Ambivalenz eines Gegenstandes thematisiert: Die Leuchtröhren wirken wie aus der Halterung gefallen, sie liegen schutzlos am Boden, man könnte auf sie treten und sie leicht zerbrechen. Andererseits aber kann die Berührung mit ihnen und ihren Drähten lebensbedrohlich sein. Wenn Glühlampen dann noch in einem Gehäuse aus Pappe brennen (Licht in der Kiste, 2004), wird Hitze gestaut, und es droht Brandgefahr.
Die Umwertung von Licht, das im Alltag der Ausleuchtung von Räumen dient, findet sich auch in einem Video von Ulrike Möschel wieder. In der Videoinstallation Licht aus (2003) wird aus der Perspektive der Kamera eine nächtliche Wanderung durch Räume festgehalten. Dabei folgt der Betrachter dem Weg der Künstlerin selbst, wie sie aus einem dunklen Raum jeweils in einen hellen schreitet, doch in dem Moment des Betretens das Licht ausschaltet.
Durch die Umkehrung einer gleichsam instinktiven Handlung, dem Anschalten von Licht beim Betreten eines dunklen Raumes, in ihr Gegenteil, dem Ausschalten von Licht beim Betreten eines hellen Raumes, wird die Möglichkeit einer räumlichen Orientierung zunichte gemacht. Der Gang zum Licht als Ziel wird durch das sofortige Ausschalten ad absurdum geführt. Es stellt sich beim Betrachter Unbehagen ein, der nicht erkennen kann, was die Räume bergen, und sich so als einer unbekannten Situation ausgeliefert empfindet. Trotz der physischen Bewegung der Kamera kann der Betrachter weder Dimensionen noch Bestimmung der Räume erfassen; die einzige Orientierung liegt im instinktiven Gang zum Licht, das hier fälschlicherweise einen Ausweg aus dem Dunkeln verheißt.
In zwei weiteren Installationen hat Ulrike Möschel ehemals in der Architektur vorhandene Elemente wieder sichtbar gemacht. In einem Ausstellungsraum, dessen Holzvertäfelung verputzt und überstrichen war, hat sie an einer Wand die alten Fugen mit ihren Fingernägeln wieder frei gekratzt. Durch diese Gekratzte Wand (2002) wird der Raum nicht allein in seiner ursprünglichen Gestalt wieder erahnbar, sondern es ist auch seine Form als „White Cube“ zerstört worden. Der Raum jetzt zeigt nicht nur Spuren seiner Vergangenheit, sondern auch die eines Menschen, der in intensiver schmerzlicher Arbeit dem Raum eine andere verstörende Realität verleiht.
Die Videoinstallation Türeeintreten. (2003) besteht aus der Projektion einer Tür auf die geweißte Wand eines Raumes. Es handelt sich um die Aufnahme ihrer Ateliertüre, die die Künstlerin genau auf die Stelle einer noch vorhandenen, aber nun versteckten und durch Überstreichen kaum mehr wahrnehmbaren Türe projiziert. Im Film sieht man nun, wie das Türblatt von hinten eingetreten wird. Hier wird die ehemalige reale Türe durch das projizierte Abbild einer anderen Türe zunächst erlebbar, um dann mit Gewalt wieder geöffnet zu werden. Auch erfährt hier der Betrachter nicht, was sich in dem Raum hinter der Tür befindet.
Wie Fenster und Türen gehören auch Heizungen zum festen Bestandteil von Zimmern. Hatte Ulrike Möschel bereits in früheren Arbeiten eine ausgediente Heizung mit einem durch eine Pumpe angeregten Wasserkreislauf wieder zum Leben erweckt (Heizung, 1999), so lässt sie nun in Kresse aus der Heizung (2004) aus einem krapplackrot lackierten Heizkörper diese Kräuter wachsen. Die Heizung als Wärme- und Wassergefäß wird zu einem Blumenkasten. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Pflanzen wieder verwelkt sind. Hat sich hier die Natur den Raum (für kurze Zeit) wieder zurückerobert oder verstärkt hier der pflanzliche Verweis auf ein Draußen gar nur die Abgeschlossenheit des Innenraums wie es die Installation Ich habe Frau Rosalie von Tümmler betrogen (2004) impliziert? Dieser im Werk der Künstlerin ungewöhnliche Titel verweist dabei auf die Erzählung „Die Betrogene“ von Thomas Mann, die im Benrather Schloß in Düsseldorf spielt. In ihrer Installation am gleichen Ort hat Ulrike Möschel Moos sowie grüne und schwarze Dessousspitze auf die Heizung und die Fensterfugen aufgebracht. Der Raum mit geschlossener Tür und durch Fensterladen abgeschirmtem Fenster wirkt hermetisch und morbide; er gibt sein amouröses Geheimnis nicht preis.
Ulrike Möschel entwickelt ihre künstlerischen Projekte aus den Orten heraus, an denen sie arbeitet. Sie behandelt die zur Grundausstattung von Räumen gehörenden Gegenstände, befragt sie auf ihre Funktionen, ergänzt sie durch Material, wertet sie um und verleiht ihnen eine neue bedrohte oder bedrohende Existenz. Materialität und Immaterialität gehen bei den Arbeiten von Ulrike Möschel eine Synthese ein. Ihre Installationen, die sich immer durch ein Geschehen definieren, besitzen performativen Charakter. Damit erschließen sich für den Betrachter neue Realitäten.
München, 2006
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Grenzüberschreitungen
Eine schwarz gekleidete junge Frau kommt von links in die weiße Bildfläche hinein. Sie greift nach oben und zieht eine Schaukel zu sich herunter. Sie geht um die Schaukel herum, setzt sich und fällt dabei mit der Schaukel nach unten aus dem Bild heraus.
So wenig dieses im Videofilm gezeigte Geschehen eine Aussage über die lediglich von hinten sichtbare Frau zulässt, so wenig erfolgt auch eine Angabe über die Örtlichkeit. Irritierend ist die unerwartete Bewegung der Schaukel, die einzig von oben nach unten verläuft. Jedoch scheint ein übliches schwingendes Schaukeln auch gar nicht möglich zu sein, da die Schaukel sich zu nah vor der Wand befindet. So wird der originäre Zweck dieses Turngerätes nicht nur außer Kraft gesetzt, sondern erhält durch seine Verkehrung auch ein Moment der Zerstörung.
Das Schaukelvideo (2002) ist eine charakteristische Arbeit von Ulrike Möschel, die sich in ihren Installationen, Videos, Zeichnungen und Textarbeiten mit Fragen von Raum und Bewegung, von Abgeschlossenheit und Transformation, von Gefahr und Zerbrechlichkeit beschäftigt. Sie entwickelt Situationen, in denen Gegenstände aus dem Alltag durch Veränderungen ihres Zustandes eine neue Bedeutung erhalten.
Ein stets wiederkehrendes Motiv bei Ulrike Möschel ist das Licht und dessen räumliche Präsenz. Eine ihrer frühesten Arbeiten war die knapp über dem Boden pendelnde Tanzende Glühlampe (1999), die sich mittels eines Motors bewegte. Das scheinbare Risiko des Zerschellens für die Lampe wurde zu einer Empfindung von Bedrohung auch für die Betrachter. In einer Videoarbeit aus dem gleichen Jahr werden dann auch tatsächlich brennende Glühbirnen nacheinander auf den Boden geworfen und mit dem Fuß zertreten. Die Berührung mit einem offenen Stromkreis stellt hier ebenso eine Gefahr dar wie die zunehmende Menge der Glassplitter. Glühlampenzertreten ist der Titel der Arbeit, der wie so häufig als kurze Inhaltsangabe dient.
In weiteren Arbeiten wie Loreley (2003) oder Ausgefallene Lampe (2002) werden Neonröhren statt an der Decke auf dem Fußboden platziert und erhalten ihren Strom über lange Kabel bzw. Drähte. So enthält das sichtbare Objekt das unsichtbare Ereignis eines Stromkreislaufes. Erneut wird die Ambivalenz eines Gegenstandes thematisiert: Die Leuchtröhren wirken wie aus der Halterung gefallen, sie liegen schutzlos am Boden, man könnte auf sie treten und sie leicht zerbrechen. Andererseits aber kann die Berührung mit ihnen und ihren Drähten lebensbedrohlich sein. Wenn Glühlampen dann noch in einem Gehäuse aus Pappe brennen (Licht in der Kiste, 2004), wird Hitze gestaut, und es droht Brandgefahr.
Die Umwertung von Licht, das im Alltag der Ausleuchtung von Räumen dient, findet sich auch in einem Video von Ulrike Möschel wieder. In der Videoinstallation Licht aus (2003) wird aus der Perspektive der Kamera eine nächtliche Wanderung durch Räume festgehalten. Dabei folgt der Betrachter dem Weg der Künstlerin selbst, wie sie aus einem dunklen Raum jeweils in einen hellen schreitet, doch in dem Moment des Betretens das Licht ausschaltet.
Durch die Umkehrung einer gleichsam instinktiven Handlung, dem Anschalten von Licht beim Betreten eines dunklen Raumes, in ihr Gegenteil, dem Ausschalten von Licht beim Betreten eines hellen Raumes, wird die Möglichkeit einer räumlichen Orientierung zunichte gemacht. Der Gang zum Licht als Ziel wird durch das sofortige Ausschalten ad absurdum geführt. Es stellt sich beim Betrachter Unbehagen ein, der nicht erkennen kann, was die Räume bergen, und sich so als einer unbekannten Situation ausgeliefert empfindet. Trotz der physischen Bewegung der Kamera kann der Betrachter weder Dimensionen noch Bestimmung der Räume erfassen; die einzige Orientierung liegt im instinktiven Gang zum Licht, das hier fälschlicherweise einen Ausweg aus dem Dunkeln verheißt.
In zwei weiteren Installationen hat Ulrike Möschel ehemals in der Architektur vorhandene Elemente wieder sichtbar gemacht. In einem Ausstellungsraum, dessen Holzvertäfelung verputzt und überstrichen war, hat sie an einer Wand die alten Fugen mit ihren Fingernägeln wieder frei gekratzt. Durch diese Gekratzte Wand (2002) wird der Raum nicht allein in seiner ursprünglichen Gestalt wieder erahnbar, sondern es ist auch seine Form als „White Cube“ zerstört worden. Der Raum jetzt zeigt nicht nur Spuren seiner Vergangenheit, sondern auch die eines Menschen, der in intensiver schmerzlicher Arbeit dem Raum eine andere verstörende Realität verleiht.
Die Videoinstallation Türeeintreten. (2003) besteht aus der Projektion einer Tür auf die geweißte Wand eines Raumes. Es handelt sich um die Aufnahme ihrer Ateliertüre, die die Künstlerin genau auf die Stelle einer noch vorhandenen, aber nun versteckten und durch Überstreichen kaum mehr wahrnehmbaren Türe projiziert. Im Film sieht man nun, wie das Türblatt von hinten eingetreten wird. Hier wird die ehemalige reale Türe durch das projizierte Abbild einer anderen Türe zunächst erlebbar, um dann mit Gewalt wieder geöffnet zu werden. Auch erfährt hier der Betrachter nicht, was sich in dem Raum hinter der Tür befindet.
Wie Fenster und Türen gehören auch Heizungen zum festen Bestandteil von Zimmern. Hatte Ulrike Möschel bereits in früheren Arbeiten eine ausgediente Heizung mit einem durch eine Pumpe angeregten Wasserkreislauf wieder zum Leben erweckt (Heizung, 1999), so lässt sie nun in Kresse aus der Heizung (2004) aus einem krapplackrot lackierten Heizkörper diese Kräuter wachsen. Die Heizung als Wärme- und Wassergefäß wird zu einem Blumenkasten. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Pflanzen wieder verwelkt sind. Hat sich hier die Natur den Raum (für kurze Zeit) wieder zurückerobert oder verstärkt hier der pflanzliche Verweis auf ein Draußen gar nur die Abgeschlossenheit des Innenraums wie es die Installation Ich habe Frau Rosalie von Tümmler betrogen (2004) impliziert? Dieser im Werk der Künstlerin ungewöhnliche Titel verweist dabei auf die Erzählung „Die Betrogene“ von Thomas Mann, die im Benrather Schloß in Düsseldorf spielt. In ihrer Installation am gleichen Ort hat Ulrike Möschel Moos sowie grüne und schwarze Dessousspitze auf die Heizung und die Fensterfugen aufgebracht. Der Raum mit geschlossener Tür und durch Fensterladen abgeschirmtem Fenster wirkt hermetisch und morbide; er gibt sein amouröses Geheimnis nicht preis.
Ulrike Möschel entwickelt ihre künstlerischen Projekte aus den Orten heraus, an denen sie arbeitet. Sie behandelt die zur Grundausstattung von Räumen gehörenden Gegenstände, befragt sie auf ihre Funktionen, ergänzt sie durch Material, wertet sie um und verleiht ihnen eine neue bedrohte oder bedrohende Existenz. Materialität und Immaterialität gehen bei den Arbeiten von Ulrike Möschel eine Synthese ein. Ihre Installationen, die sich immer durch ein Geschehen definieren, besitzen performativen Charakter. Damit erschließen sich für den Betrachter neue Realitäten.
München, 2006
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