Annette Urban
Schatten und andere Doubles:
Zeichnung, Installation und Videoprojektion bei Ulrike Möschel
Bedrohlich dunkle Vögel, die sich jede Sekunde von der Fenstersprosse erheben könnten, geheimnisvoll kaschierte oder einen Spalt geöffnete Türen, die nicht einlassen wollen: Die Arbeiten von Ulrike Möschel sind reich an Irritationen, die in der Betrachtungssituation konkret räumlich erfahren werden. In einer ihrer neuen Videoprojektionen bricht im Ausstellungsraum unversehens dramatisches Himmelslicht hervor. Es dient als effektvolle Kulisse eines zugleich monströsen und lyrischen Spinnentanzes (2008) zu verhaltenen Harfenklängen, die noch vor dem dazugehörigen Minnegesang abbrechen, um das Intro von vorn zu beginnen. Das Projektionsfeld ist derart wandfüllend in eine Ecke oder ans Ende des Raumes platziert, dass sich das Bild räumlich entgrenzt und abschließende Wände oder tote Winkel sich suggestiv als Ausblick öffnen. Das einfache Satteldach hingegen, auf dem das überdimensionierte Getier seinen grazilen Tanz vollführt, erscheint flächig wie eine Schablone und ruft dennoch Verunsicherung darüber hervor, ob hier nicht doch ein Objekt im Raum den Projektionsstrahl unterbricht. Tageslicht spendende Sprossenfenster und fest installierte Strahler müssten in der Installation im Kunstverein Bochum mit ihren Lichtern und Schatten eigentlich stören. Doch die Künstlerin bindet sie ein in ihre hintersinnige Lichtregie und doppelbödige Rauminszenierung: Statt eine hermetische Black Box mit projizierten Bildillusionen zu füllen, lässt sie eine der verdunkelnden Fensterfüllungen weg und strahlt das offene Fenstersegment mit einem der Spots an. So wird die Materialität des Glases als Membran zwischen Innen und Außen hervorgekehrt und dem einfallenden natürlichen künstliches Licht entgegengesetzt, das ein tagsüber unsichtbares Signal nach draußen sendet. Die störende Präsenz der Strahler verwandelt Möschel in ein Verwirrspiel von Scheinschattenwerfern (2008), indem sie mit dem Graphitstift geisterhafte Doppelgänger ohne Urheber ergänzt, die sich jeder Logik der Schatten-Projektion entkoppeln.
Auf verschiedenen Ebenen knüpft Ulrike Möschel damit an ihre Beschäftigung mit künstlichen Lichtquellen an, die sie in situ mit demontierten Leuchtstoffröhren oder zum Warnlicht beschleunigten Parklampen, skulptural am Objekt der Glühbirne oder zeichnerisch in reduzierten Hell-Dunkel-Kontrasten umgesetzt hat. Das Fenster kann als weiteres Schlüsselmotiv gelten. In Architekturinterventionen wie in Bildern hat Möschel es als Lichtquelle und Wandöffnung gestaltet, die Häuserfassaden nachts zu unzähligen Bildschirmen bzw. scheinbar im Dunkel schwebenden Lichtfeldern transformiert oder Architektur als bloße Kulisse entlarvt, wenn sich in den Fenstern der bläuliche Himmel paradoxer Weise bruchlos fortsetzen kann. Entsprechend beschränken sich viele Zeichnungen auf Umrissformen. Solche Silhouetten wandern mühelos in reale Situationen über, wie die Schattenvögel (2009) im Fenster des Düsseldorfer Künstlervereins Malkasten, die scheinbar auf den Sprossen Platz genommen haben und gleichzeitig den tatsächlichen Ausblick in den winterlichen Park in ein Bild verwandeln.
Diese Schneelandschaft mit Vögeln erscheint nicht nur des Schattens wegen als Derivat, zumal auffallend ähnliche Vögel in vielen Zeichnungen wiederkehren. Obwohl Möschels Handzeichnungen meist aus der Beobachtung entstehen, fließt hier mit dem Vogel auf dürrem Ast ein unscheinbar randständiges Motiv aus bekannten Winterlandschaften von Pieter Brueghel ein, das die Vögel in mehrfacher Hinsicht als schattenhafte Doubles und Widergänger auftreten lässt. Das Detail ist nicht bloß seines erzählerischen Kontextes im Gesamtbild, sondern buchstäblich seiner Verwurzelung beraubt. Eine solche dem Erdboden enthobene, nach oben gerichtete Perspektive, die Baumwipfel, Straßenlaternen oder Dachfirste in den Blick nimmt, ist ebenfalls für den Storchenfilm (2008) und den Spinnentanz charakteristisch, in dem das Tier im Takt der Harfe die Himmelssaiten anzuschlagen scheint. So knüpft sich nicht nur eine Verbindung vom pittoresken Landschaftsdetail zur zweiten Natur der Stadt, wo Tiere sich auf Antennengeäst oder Stromleitungen der Straßenbeleuchtung luftig über den Häusern einrichten. Sobald Äste und Antennen, Laternenpfähle, Strommaste und Baumstämme sich exzentrisch an den Rand gerückt gegenüberstehen und so bespiegeln, wie in der Zusammenschau der neueren Zeichnungen oder sogar auf einem Blatt, verbindet alle dieselbe, mitunter einbeinige Labilität, die Möschel skulptural anhand von instabil gewordenen Rutschen, Schaukeln, Leitern oder Krücken thematisiert.
All diese neueren Werkbeispiele deuten darauf hin, wie Ulrike Möschel jenseits vordergründiger Täuschung die Unterschiede zwischen installativ-raumbezogenen und zeichnerischen Arbeiten unscharf werden lässt, obwohl die Intervention in vorhandene Architekturen, das raumschaffende Arbeiten mit Objektkonstellationen und die kleinformatigen, figürlichen Zeichnungen zunächst wenig gemein haben. Die skizzierten Beispiele aber lassen schon erahnen, dass es unter diesen Werkgruppen nicht nur um motivisch-thematische Parallelen, sondern um den unsicheren Status von Wirklichkeit geht, anhand von Schattenspielen, Doppelexistenzen und Raumverkehrungen, die Installationen ins Zeichnerische kippen und Zeichnungen dem installativen Arbeiten verwandt werden lassen: Hinter einer der ersten, zunächst abstrakt anmutenden Zeichnungen verbirgt sich demgemäß der Grundriss einer Wohnung. Eine Kreidezeichnung auf Tafellack klappt ein Haus, das aus wenig mehr als der Hülle von vier begrenzenden Fassaden besteht, einfach in die Fläche, als sei es nur ein Modell aus Pappe, wie es Möschel in Installationen verwendet hat. Fenster sind tintenblau oder in der schwarzen Serie weiß und gerade deswegen seltsam opak, während sich die Dinge in bloße Konturen, ähnlich den nackten Raumkoordinaten, auflösen. Diese spannen den Raum weniger auf als ihn einzugittern, was sich motivisch in Maschendraht, Laufställen oder den verstrebten Fenstern einer Klosterzelle spiegelt.
Neben Fenstern, die vergittert oder blind geworden die Durchsicht verweigern, spielen Türen als Verbindungsglieder zwischen Räumen eine wichtige Rolle. Statt Zugänglichkeiten zu schaffen, loten sie jedoch Möglichkeiten des Entkommens aus oder kapitulieren vor Ausweglosigkeiten. In einer Installation von 2007 zieht eine Schwarze Tür, aus der grünliches Glas hervorschimmert, die Aufmerksamkeit im cleanen Ausstellungsambiente magisch an, bis sie sich nicht als der verheißene Übertritt in eine Welt hinter dem White Cube, sondern als bloße Blendtür entpuppt, aus der berstend-bedrohlich Glas entgegensplittert. Obwohl haptisch greifbar, ist sie letztlich ebenso wenig Raumelement wie das geritzte Türdouble, mit dem Möschel einen zweiten, spiegelbildlichen Notausgang simuliert. Dieser ironisiert nicht nur die Präsenz solch profaner Infrastruktur im auratischen Ausstellungsraum, indem er sein Vorbild noch an Unauffälligkeit überbietet. Die eingemeißelte Tür setzt den vorgeschriebenen Fluchtweg mit dem dringenden Wunsch eins, aus dem hermetisch-unterirdischen Kunstraum auszubrechen, und führt die Alarmierten doch nur in die Irre, indem sie jenes Außen negiert.
Trotz der Wechselbeziehungen zwischen Papierarbeiten und Installation greifen Ulrike Möschels Zeichnungen nicht scherenschnittartig in den Raum über, wie es derzeit oft zu beobachten ist. Ihre Zeichnungen sind dagegen solide, beinahe objekthafte Blätter. Dafür sorgt die mal deckende, mal lavierte meist monochrom-einheitliche Grundierung, die Figur-Grund- und Positiv-Negativ-Verkehrungen begünstigt. Mit denselben Farben überzieht Möschel in ihren Installationen für die alltägliche Wahrnehmung unsichtbar gewordenes Rauminventar oder Gebrauchsgegenstände, die sie so markiert. Sie bedient sich dabei weniger des Künstler- als des Malerbedarfs für Raumausstattungen oder der Palette der Schönheitsindustrie. Bevorzugt werden Tafel- und Nagellack sowie metallisch wirkende Mischungen, die eine teils schützend-abwehrende, teils brüchige Haut erzeugen, mit der Möschel gerade auch zuvor deformierte Objekte umkapselt. Analog zu den Blättern bearbeitet die Künstlerin schwarz lackierte Wände wie mit dem Zeichenstift, indem sie dort mit Kreide wie auf einer Tafel neben der realen eine weitere Tür ergänzt. Diese zeichnerischen Linien wiederum können sich zu skulpturalen Einmeißelungen vertiefen, die die glatt verputzte Oberfläche der Wand beinahe körperhaft verletzen. Die Wand wird wie ein Palimpsest in ihren Schichten aus Putz, Dämmmaterial etc. freigelegt, während umgekehrt Tapete als Zeichenblatt dient.
Schließlich sind die Papierarbeiten, zu denen neben Zeichnungen Texte gehören, auch in der rahmenlosen Hängung direkt auf die Wand bzw. auf Nischen und Kanten des Raums bezogen. Aus dem Verband des dagegen intimen Skizzenbuchs haben sie sich vollends gelöst. Die dicht gedrängt wie eine zweite Wand arrangierten Textarbeiten sind nicht einfach durch Schreiben, sondern durch Beschriften der schild-oder tafelähnlichen Blätter auf nicht neutral-weißem, sondern widerständigem Grund entstanden. Darauf zeichnet und schreibt Möschel oft mit Kreide, Kohle oder Tinte, die schnell verwischen und leicht wieder aus- oder wegzuwischen erscheinen. Vielfach sind es Wörter, die sich im Kopf festgesetzt haben, oder Sprüche vom Hörensagen, die besser unausgesprochen blieben. Fremde und eigene Worte haben sich in inneren Stimmen sedimentiert, die in ungelenken, teils gedrängten Buchstaben wieder nach außen dringen und doch nur vorläufige Gestalt gewinnen: latente Bilder von latenten Stimmen. Ebenso indirekt findet der Minnegesang, den uns das Spinnentanz Video vorenthält, Ausdruck: Die Ungehörten Worte (2008) an die unerreichbare Geliebte sind im Rücken zur Projektion in die Ausstellungswand gemeißelt. Die Vergeblichkeit des Sprechens und der Liebe ist damit zum Text geronnen. Diese Inschrift darf als Kunst, indem sie das liebende Gedächtnis bewahrt, doch Dauerhaftigkeit und Gültigkeit für sich beanspruchen, auch wenn das ruinöse Denkmal mit dem liegen gebliebenen Putz der verletzten Wand vom Schmerz des Sich-Verzehrens kündet.
Bochum, 2010
Schatten und andere Doubles:
Zeichnung, Installation und Videoprojektion bei Ulrike Möschel
Bedrohlich dunkle Vögel, die sich jede Sekunde von der Fenstersprosse erheben könnten, geheimnisvoll kaschierte oder einen Spalt geöffnete Türen, die nicht einlassen wollen: Die Arbeiten von Ulrike Möschel sind reich an Irritationen, die in der Betrachtungssituation konkret räumlich erfahren werden. In einer ihrer neuen Videoprojektionen bricht im Ausstellungsraum unversehens dramatisches Himmelslicht hervor. Es dient als effektvolle Kulisse eines zugleich monströsen und lyrischen Spinnentanzes (2008) zu verhaltenen Harfenklängen, die noch vor dem dazugehörigen Minnegesang abbrechen, um das Intro von vorn zu beginnen. Das Projektionsfeld ist derart wandfüllend in eine Ecke oder ans Ende des Raumes platziert, dass sich das Bild räumlich entgrenzt und abschließende Wände oder tote Winkel sich suggestiv als Ausblick öffnen. Das einfache Satteldach hingegen, auf dem das überdimensionierte Getier seinen grazilen Tanz vollführt, erscheint flächig wie eine Schablone und ruft dennoch Verunsicherung darüber hervor, ob hier nicht doch ein Objekt im Raum den Projektionsstrahl unterbricht. Tageslicht spendende Sprossenfenster und fest installierte Strahler müssten in der Installation im Kunstverein Bochum mit ihren Lichtern und Schatten eigentlich stören. Doch die Künstlerin bindet sie ein in ihre hintersinnige Lichtregie und doppelbödige Rauminszenierung: Statt eine hermetische Black Box mit projizierten Bildillusionen zu füllen, lässt sie eine der verdunkelnden Fensterfüllungen weg und strahlt das offene Fenstersegment mit einem der Spots an. So wird die Materialität des Glases als Membran zwischen Innen und Außen hervorgekehrt und dem einfallenden natürlichen künstliches Licht entgegengesetzt, das ein tagsüber unsichtbares Signal nach draußen sendet. Die störende Präsenz der Strahler verwandelt Möschel in ein Verwirrspiel von Scheinschattenwerfern (2008), indem sie mit dem Graphitstift geisterhafte Doppelgänger ohne Urheber ergänzt, die sich jeder Logik der Schatten-Projektion entkoppeln.
Auf verschiedenen Ebenen knüpft Ulrike Möschel damit an ihre Beschäftigung mit künstlichen Lichtquellen an, die sie in situ mit demontierten Leuchtstoffröhren oder zum Warnlicht beschleunigten Parklampen, skulptural am Objekt der Glühbirne oder zeichnerisch in reduzierten Hell-Dunkel-Kontrasten umgesetzt hat. Das Fenster kann als weiteres Schlüsselmotiv gelten. In Architekturinterventionen wie in Bildern hat Möschel es als Lichtquelle und Wandöffnung gestaltet, die Häuserfassaden nachts zu unzähligen Bildschirmen bzw. scheinbar im Dunkel schwebenden Lichtfeldern transformiert oder Architektur als bloße Kulisse entlarvt, wenn sich in den Fenstern der bläuliche Himmel paradoxer Weise bruchlos fortsetzen kann. Entsprechend beschränken sich viele Zeichnungen auf Umrissformen. Solche Silhouetten wandern mühelos in reale Situationen über, wie die Schattenvögel (2009) im Fenster des Düsseldorfer Künstlervereins Malkasten, die scheinbar auf den Sprossen Platz genommen haben und gleichzeitig den tatsächlichen Ausblick in den winterlichen Park in ein Bild verwandeln.
Diese Schneelandschaft mit Vögeln erscheint nicht nur des Schattens wegen als Derivat, zumal auffallend ähnliche Vögel in vielen Zeichnungen wiederkehren. Obwohl Möschels Handzeichnungen meist aus der Beobachtung entstehen, fließt hier mit dem Vogel auf dürrem Ast ein unscheinbar randständiges Motiv aus bekannten Winterlandschaften von Pieter Brueghel ein, das die Vögel in mehrfacher Hinsicht als schattenhafte Doubles und Widergänger auftreten lässt. Das Detail ist nicht bloß seines erzählerischen Kontextes im Gesamtbild, sondern buchstäblich seiner Verwurzelung beraubt. Eine solche dem Erdboden enthobene, nach oben gerichtete Perspektive, die Baumwipfel, Straßenlaternen oder Dachfirste in den Blick nimmt, ist ebenfalls für den Storchenfilm (2008) und den Spinnentanz charakteristisch, in dem das Tier im Takt der Harfe die Himmelssaiten anzuschlagen scheint. So knüpft sich nicht nur eine Verbindung vom pittoresken Landschaftsdetail zur zweiten Natur der Stadt, wo Tiere sich auf Antennengeäst oder Stromleitungen der Straßenbeleuchtung luftig über den Häusern einrichten. Sobald Äste und Antennen, Laternenpfähle, Strommaste und Baumstämme sich exzentrisch an den Rand gerückt gegenüberstehen und so bespiegeln, wie in der Zusammenschau der neueren Zeichnungen oder sogar auf einem Blatt, verbindet alle dieselbe, mitunter einbeinige Labilität, die Möschel skulptural anhand von instabil gewordenen Rutschen, Schaukeln, Leitern oder Krücken thematisiert.
All diese neueren Werkbeispiele deuten darauf hin, wie Ulrike Möschel jenseits vordergründiger Täuschung die Unterschiede zwischen installativ-raumbezogenen und zeichnerischen Arbeiten unscharf werden lässt, obwohl die Intervention in vorhandene Architekturen, das raumschaffende Arbeiten mit Objektkonstellationen und die kleinformatigen, figürlichen Zeichnungen zunächst wenig gemein haben. Die skizzierten Beispiele aber lassen schon erahnen, dass es unter diesen Werkgruppen nicht nur um motivisch-thematische Parallelen, sondern um den unsicheren Status von Wirklichkeit geht, anhand von Schattenspielen, Doppelexistenzen und Raumverkehrungen, die Installationen ins Zeichnerische kippen und Zeichnungen dem installativen Arbeiten verwandt werden lassen: Hinter einer der ersten, zunächst abstrakt anmutenden Zeichnungen verbirgt sich demgemäß der Grundriss einer Wohnung. Eine Kreidezeichnung auf Tafellack klappt ein Haus, das aus wenig mehr als der Hülle von vier begrenzenden Fassaden besteht, einfach in die Fläche, als sei es nur ein Modell aus Pappe, wie es Möschel in Installationen verwendet hat. Fenster sind tintenblau oder in der schwarzen Serie weiß und gerade deswegen seltsam opak, während sich die Dinge in bloße Konturen, ähnlich den nackten Raumkoordinaten, auflösen. Diese spannen den Raum weniger auf als ihn einzugittern, was sich motivisch in Maschendraht, Laufställen oder den verstrebten Fenstern einer Klosterzelle spiegelt.
Neben Fenstern, die vergittert oder blind geworden die Durchsicht verweigern, spielen Türen als Verbindungsglieder zwischen Räumen eine wichtige Rolle. Statt Zugänglichkeiten zu schaffen, loten sie jedoch Möglichkeiten des Entkommens aus oder kapitulieren vor Ausweglosigkeiten. In einer Installation von 2007 zieht eine Schwarze Tür, aus der grünliches Glas hervorschimmert, die Aufmerksamkeit im cleanen Ausstellungsambiente magisch an, bis sie sich nicht als der verheißene Übertritt in eine Welt hinter dem White Cube, sondern als bloße Blendtür entpuppt, aus der berstend-bedrohlich Glas entgegensplittert. Obwohl haptisch greifbar, ist sie letztlich ebenso wenig Raumelement wie das geritzte Türdouble, mit dem Möschel einen zweiten, spiegelbildlichen Notausgang simuliert. Dieser ironisiert nicht nur die Präsenz solch profaner Infrastruktur im auratischen Ausstellungsraum, indem er sein Vorbild noch an Unauffälligkeit überbietet. Die eingemeißelte Tür setzt den vorgeschriebenen Fluchtweg mit dem dringenden Wunsch eins, aus dem hermetisch-unterirdischen Kunstraum auszubrechen, und führt die Alarmierten doch nur in die Irre, indem sie jenes Außen negiert.
Trotz der Wechselbeziehungen zwischen Papierarbeiten und Installation greifen Ulrike Möschels Zeichnungen nicht scherenschnittartig in den Raum über, wie es derzeit oft zu beobachten ist. Ihre Zeichnungen sind dagegen solide, beinahe objekthafte Blätter. Dafür sorgt die mal deckende, mal lavierte meist monochrom-einheitliche Grundierung, die Figur-Grund- und Positiv-Negativ-Verkehrungen begünstigt. Mit denselben Farben überzieht Möschel in ihren Installationen für die alltägliche Wahrnehmung unsichtbar gewordenes Rauminventar oder Gebrauchsgegenstände, die sie so markiert. Sie bedient sich dabei weniger des Künstler- als des Malerbedarfs für Raumausstattungen oder der Palette der Schönheitsindustrie. Bevorzugt werden Tafel- und Nagellack sowie metallisch wirkende Mischungen, die eine teils schützend-abwehrende, teils brüchige Haut erzeugen, mit der Möschel gerade auch zuvor deformierte Objekte umkapselt. Analog zu den Blättern bearbeitet die Künstlerin schwarz lackierte Wände wie mit dem Zeichenstift, indem sie dort mit Kreide wie auf einer Tafel neben der realen eine weitere Tür ergänzt. Diese zeichnerischen Linien wiederum können sich zu skulpturalen Einmeißelungen vertiefen, die die glatt verputzte Oberfläche der Wand beinahe körperhaft verletzen. Die Wand wird wie ein Palimpsest in ihren Schichten aus Putz, Dämmmaterial etc. freigelegt, während umgekehrt Tapete als Zeichenblatt dient.
Schließlich sind die Papierarbeiten, zu denen neben Zeichnungen Texte gehören, auch in der rahmenlosen Hängung direkt auf die Wand bzw. auf Nischen und Kanten des Raums bezogen. Aus dem Verband des dagegen intimen Skizzenbuchs haben sie sich vollends gelöst. Die dicht gedrängt wie eine zweite Wand arrangierten Textarbeiten sind nicht einfach durch Schreiben, sondern durch Beschriften der schild-oder tafelähnlichen Blätter auf nicht neutral-weißem, sondern widerständigem Grund entstanden. Darauf zeichnet und schreibt Möschel oft mit Kreide, Kohle oder Tinte, die schnell verwischen und leicht wieder aus- oder wegzuwischen erscheinen. Vielfach sind es Wörter, die sich im Kopf festgesetzt haben, oder Sprüche vom Hörensagen, die besser unausgesprochen blieben. Fremde und eigene Worte haben sich in inneren Stimmen sedimentiert, die in ungelenken, teils gedrängten Buchstaben wieder nach außen dringen und doch nur vorläufige Gestalt gewinnen: latente Bilder von latenten Stimmen. Ebenso indirekt findet der Minnegesang, den uns das Spinnentanz Video vorenthält, Ausdruck: Die Ungehörten Worte (2008) an die unerreichbare Geliebte sind im Rücken zur Projektion in die Ausstellungswand gemeißelt. Die Vergeblichkeit des Sprechens und der Liebe ist damit zum Text geronnen. Diese Inschrift darf als Kunst, indem sie das liebende Gedächtnis bewahrt, doch Dauerhaftigkeit und Gültigkeit für sich beanspruchen, auch wenn das ruinöse Denkmal mit dem liegen gebliebenen Putz der verletzten Wand vom Schmerz des Sich-Verzehrens kündet.
Bochum, 2010
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