Stille Ereignisse
Ulrike Möschel stellt im Neuen Kunstverein Wuppertal aus - Wupperkunst 03/11
Die Abbildung kam per E-mail aus Istanbul, wo sich Ulrike Möschel gerade als Stipendiatin der Kunststiftung NRW aufhielt. Man muss genau hinschauen: Ihre Installation umfasst den gesamten Raum, aber die Maßnahmen selbst fallen zunächst nicht auf. Über der mit Ornament tapezierten Stirnwand befindet sich die Silhouette der Lampe, die inmitten vom Raum von der Decke hängt. Indes ist der Schatten künstlich aufgelegt, aus ausgeschnittenem schwarzem Papier. Das Muster an der Wand wiederum bezieht sich als farbiges Papier auf Iznik-Fliesen. Der Titel dieser Arbeit – „Odada“ – heißt übersetzt „im Raum“ und klingt lautmalerisch lockend und geheimnisvoll zugleich. Die Leere und Stille des Zimmers schwingen atmosphärisch mit als Intensivierung, welche augenblicklich existenzielle Fragen aufwirft...
Ulrike Möschel greift hier, in dieser beeindruckend beiläufigen Istanbuler Installation, verschiedene Aspekte ihrer Arbeit der vergangenen Jahre auf. Dazu gehören die Hinwendung zur nächtlichen Dunkelheit, der sorgsame Umgang mit künstlichen Lichtquellen und mit dem Schattenwurf. Ihre Arbeiten halten sich oft in peripheren Regionen auf, überhaupt in vernutzten Räumen, die uns gleichzeitig vertraut und fremd sind. Immer geht es um sorgfältige Beobachtungen und feine Details, die nun entscheidend werden und die gesamte Situation zum Umkippen bringen. Dabei handelt Ulrike Möschel mit plötzlich Unglaublichem, welches hier nachdrücklich aber doch diskret in Szene gesetzt ist und tatsächlich der jeweiligen Umgebung entstammt. So ist ein Strommast schräg zwischen Boden und Decke eines Zimmers eingekeilt, die Leitungen führen über kleine Löcher durch die Räume und die Außenmauern des Gebäudes hindurch (Schloss Ringenberg 2009). Oder in einen Ausstellungsraum wurde eine Schein-Tür eingefügt, die partiell aufgerissen war, indem Glassplitter mit dem Eindruck flutender Wassermassen und zerbröckelnder Materialität glitzernd nach außen drangen (museum kunst palast in Düsseldorf 2008). Bei ihrer Einzelausstellung im Kunstverein Bochum im gleichen Jahr war ein Video als Loop riesig auf die Ausstellungswand projiziert: Ein Weberknecht kroch langsam über einen Dachfirst, streckte im Zwielicht die langen Beine aus, dazu war der Harfenklang eines französischen Minnesanges zu hören.
Krisen & Utopien
Mit solchen Arbeiten wurde Ulrike Möschel, die 1972 in Münster geboren wurde, an den Akademien in Münster und Düsseldorf studiert hat und heute in der Landeshauptstadt lebt, bekannt. In Wuppertal hat sie seit 2007 einen Lehrauftrag an der Bergischen Universität inne. Neben den plastischen Arbeiten, den Installationen im Innen- aber auch Außenbereich und den Videos, die sie stets auf den Ausstellungsraum bezieht, erstellt sie sparsame Tintenzeichnungen mit einfachen Szenen, oft im Format DIN A4. Eine davon, die einen Vogel auf einem Antennenmast im Gegenüber zu einer Baumkrone zeigt, ist auf der Einladungskarte zur Ausstellungsreihe „Krisen & Utopien“ des Neuen Wuppertaler Kunstvereins abgebildet: eine innige Beobachtung voller Anspielungen zu Natur und Zivilisation.
Die Schau von Ulrike Möschel bildet den Abschluss dieser 9-teiligen, seit vergangenem September stattfindenden Ausstellungsfolge, mit der sich der Neue Kunstverein Wuppertal, der vor nicht einmal zwei Jahren gegründet wurde, überregional etabliert hat. Ohnehin, vor Ulrike Möschel hat hier, im Kolkmannhaus die Kölnerin Gesine Grundmann ausgestellt und sozusagen Maßstäbe gesetzt. Zu sehen waren Versatzstücke unserer Zivilisation zwischen Realität und Künstlichkeit, indem die Materialien „gefakt“ und die Dimensionen verschoben waren. So ganz passte Gesine Grundmanns Ausstellung freilich nicht in die Reihe, war aber als eigenes Statement und wichtige zeitgenössische Position eine große Bereicherung. Sie bereitete noch auf die aktuelle Schau vor. Und diese nun lenkt mit ihrer Fragilität und ihren bildnerischen Vorstellungen den Fokus aufs Thema der gesamten Ausstellungsfolge: ein punktgenauer Abschluss, frei von jeder Illustration.
THOMAS HIRSCH in Engels, 03/2011