Gudrun Bott
White Balance
Ulrike Möschels Arbeiten sensibilisieren für die emotionale Temperatur von Räumen und Dingen. Herausgelöst aus ihrem vertrauten Alltagszusammenhang, sind es weniger Situationen als vielmehr einfache Gegenstände wie Türen, Fenster, eine Schaukel, Rutsche oder Kinderwiege und ein Strommast, die im Rückgriff auf ein kollektives Erinnerungsrepertoir individuell geprägte Bilder im Betrachter aufrufen. Ihr verheißungsvoller Appell an eine imaginäre Nutzung stockt aber gerade in den aktuellen skulpturalen Werken mit der Erkenntnis, dass die Dinge allesamt ihre Gebrauchsfähigkeit eingebüßt haben.
Die Schaukel etwa hängt am „silbernen“ Faden, da sich die gedrehten Halteseile genau dort auflösen, wo die Hände sie greifen sollen. Wie schimmerndes Engelshaar quellen aufgeribbelte, weiße Synthetikfasern aus den sezierten Kordelpartien und geben den Blick frei auf einen zarten, mit weißem Blattgold umkleideten Silberfaden im Inneren, an dem nun alles hängt. Damit schieben sich Vorstellungen potentieller Gefährdung und Bedrohung über den hochästhetischen Zusammenklang von Schaukelbrett und Aufhängung in makellosem Weiß einerseits wie über den kindlich-unbedarften Impuls zum selbstvergessenen Schwingen andererseits. Die Schaukel wird zum unberührbaren Bild und lässt die Frage offen, wie es zu den fatalen „Einschnitten“ kam.
Verglichen mit der hier eher behutsam – subtilen Intervention weist die buchstäblich vor die Wand gefahrene Kinderrutsche Spuren offener Gewalteinwirkung auf. Die gestauchte und verbogene Metallbahn hat sich in den Putz gebohrt, die massiven Deformationen erscheinen als Folge eines unerklärlichen Crashs. Doch woher stammt die Energie, wer ist der Akteur, was geschieht als nächstes? Gestützt auf die mehrfach gebrochene, an Insektenbeine erinnernde Leiter entfaltet die Rutsche trotz ihres beschädigten Zustandes die fast tänzerisch anmutende Eleganz einer zerbrechlichen Figur. „...und sie bleibt doch stehen...“ – diesem Motto folgend gewinnt sie eine neue Identität als Skulptur, indem sie dem Verlust ihrer bodenständigen Existenz als Kinderspielgerät eine von Gebrauchszusammenhängen freie, fragile, im Wortsinne brüchige Schönheit entgegensetzt.
Ulrike Möschel lenkt in den 2009 entstandenen bildhauerischen Arbeiten unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf die ästhetische Erscheinung, auf die kostbar wirkenden Oberflächen mit ihren zarten grafischen Einschreibungen und ihrer porzellanhaften Glätte. Zugleich kontaminiert sie deren erinnerungsgeladene Gegenständlichkeit mit erzählerisch - destruktiven Eingriffen und Verschiebungen. So entstehen in dialektischer Verschränkung von Schönheit, Fragilität, Verheißung einerseits und Gefährdung, Verletzung, Bedrohung andererseits metaphorisch aufgeladene Kippmomente. Bilder einer prekären Balance, die allerdings ganz unpathetisch wirken, weil in ihnen eine unmittelbare künstlerische Neugier spürbar bleibt.
Stets markieren Dinge und Phänomene aus der Umgebung der Künstlerin den Ausgangspunkt für neue Arbeiten. Während eines Stipendienaufenthaltes auf dem Land etwa waren es die Strommasten in der Landschaft: Geweihähnliche Traversen tragen Isolatoren aus glasierter Keramik , über die offene Stromleitungen laufen. Ulrike Möschel führt diese Leitungen durch die Außenmauern ins Innere des Gebäudes und lässt sie dort mehrere Räume durchqueren. Gehalten werden sie von einem zwischen Boden und Decke verkeilten, leicht gekippten Masten. Dessen schimmernd weiße Lackierung erinnert dabei eher an eine perfekte Möbeloberfläche als an die wettergegerbten, rissigen Holzpfähle der Überlandleitungen. Auch hier erzeugt die von der Künstlerin vorgenommene ästhetische Transformation jene wiederkehrende, sinnlich greifbare Balance zwischen der prosaisch - alltagsweltlichen Seite vertrauter Dinge und ihrer imaginär – fiktionalen, persönlich geprägten Aufladung. Die Verknüpfung dieser beiden Ebenen obliegt dem Betrachter, dem Ulrike Möschels Kunst Raum bietet für eine Ambivalenz, die womöglich jede Begegnung mit Bildern kennzeichnet: im Hellen, Verheißungsvollen, Kostbaren die verborgenen, dunklen Seiten aufzuspüren und mit den eigenen Erfahrungen und Erinnerungen ins Verhältnis zu setzen.
Schloss Ringenberg, 2010
White Balance
Ulrike Möschels Arbeiten sensibilisieren für die emotionale Temperatur von Räumen und Dingen. Herausgelöst aus ihrem vertrauten Alltagszusammenhang, sind es weniger Situationen als vielmehr einfache Gegenstände wie Türen, Fenster, eine Schaukel, Rutsche oder Kinderwiege und ein Strommast, die im Rückgriff auf ein kollektives Erinnerungsrepertoir individuell geprägte Bilder im Betrachter aufrufen. Ihr verheißungsvoller Appell an eine imaginäre Nutzung stockt aber gerade in den aktuellen skulpturalen Werken mit der Erkenntnis, dass die Dinge allesamt ihre Gebrauchsfähigkeit eingebüßt haben.
Die Schaukel etwa hängt am „silbernen“ Faden, da sich die gedrehten Halteseile genau dort auflösen, wo die Hände sie greifen sollen. Wie schimmerndes Engelshaar quellen aufgeribbelte, weiße Synthetikfasern aus den sezierten Kordelpartien und geben den Blick frei auf einen zarten, mit weißem Blattgold umkleideten Silberfaden im Inneren, an dem nun alles hängt. Damit schieben sich Vorstellungen potentieller Gefährdung und Bedrohung über den hochästhetischen Zusammenklang von Schaukelbrett und Aufhängung in makellosem Weiß einerseits wie über den kindlich-unbedarften Impuls zum selbstvergessenen Schwingen andererseits. Die Schaukel wird zum unberührbaren Bild und lässt die Frage offen, wie es zu den fatalen „Einschnitten“ kam.
Verglichen mit der hier eher behutsam – subtilen Intervention weist die buchstäblich vor die Wand gefahrene Kinderrutsche Spuren offener Gewalteinwirkung auf. Die gestauchte und verbogene Metallbahn hat sich in den Putz gebohrt, die massiven Deformationen erscheinen als Folge eines unerklärlichen Crashs. Doch woher stammt die Energie, wer ist der Akteur, was geschieht als nächstes? Gestützt auf die mehrfach gebrochene, an Insektenbeine erinnernde Leiter entfaltet die Rutsche trotz ihres beschädigten Zustandes die fast tänzerisch anmutende Eleganz einer zerbrechlichen Figur. „...und sie bleibt doch stehen...“ – diesem Motto folgend gewinnt sie eine neue Identität als Skulptur, indem sie dem Verlust ihrer bodenständigen Existenz als Kinderspielgerät eine von Gebrauchszusammenhängen freie, fragile, im Wortsinne brüchige Schönheit entgegensetzt.
Ulrike Möschel lenkt in den 2009 entstandenen bildhauerischen Arbeiten unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf die ästhetische Erscheinung, auf die kostbar wirkenden Oberflächen mit ihren zarten grafischen Einschreibungen und ihrer porzellanhaften Glätte. Zugleich kontaminiert sie deren erinnerungsgeladene Gegenständlichkeit mit erzählerisch - destruktiven Eingriffen und Verschiebungen. So entstehen in dialektischer Verschränkung von Schönheit, Fragilität, Verheißung einerseits und Gefährdung, Verletzung, Bedrohung andererseits metaphorisch aufgeladene Kippmomente. Bilder einer prekären Balance, die allerdings ganz unpathetisch wirken, weil in ihnen eine unmittelbare künstlerische Neugier spürbar bleibt.
Stets markieren Dinge und Phänomene aus der Umgebung der Künstlerin den Ausgangspunkt für neue Arbeiten. Während eines Stipendienaufenthaltes auf dem Land etwa waren es die Strommasten in der Landschaft: Geweihähnliche Traversen tragen Isolatoren aus glasierter Keramik , über die offene Stromleitungen laufen. Ulrike Möschel führt diese Leitungen durch die Außenmauern ins Innere des Gebäudes und lässt sie dort mehrere Räume durchqueren. Gehalten werden sie von einem zwischen Boden und Decke verkeilten, leicht gekippten Masten. Dessen schimmernd weiße Lackierung erinnert dabei eher an eine perfekte Möbeloberfläche als an die wettergegerbten, rissigen Holzpfähle der Überlandleitungen. Auch hier erzeugt die von der Künstlerin vorgenommene ästhetische Transformation jene wiederkehrende, sinnlich greifbare Balance zwischen der prosaisch - alltagsweltlichen Seite vertrauter Dinge und ihrer imaginär – fiktionalen, persönlich geprägten Aufladung. Die Verknüpfung dieser beiden Ebenen obliegt dem Betrachter, dem Ulrike Möschels Kunst Raum bietet für eine Ambivalenz, die womöglich jede Begegnung mit Bildern kennzeichnet: im Hellen, Verheißungsvollen, Kostbaren die verborgenen, dunklen Seiten aufzuspüren und mit den eigenen Erfahrungen und Erinnerungen ins Verhältnis zu setzen.
Schloss Ringenberg, 2010